Ein Brief, der nie gelesen wird und dennoch alles sagt. Ocean Vuongs „Auf Erden sind wir kurz grandios“ ist kein gewöhnlicher Roman. Es ist ein literarischer Brief, geschrieben vom Ich-Erzähler Little Dog an seine vietnamesische Mutter, die ihn aufgrund ihrer Analphabetismus nie lesen wird. Dieser Brief wird zu einem kraftvollen Zeugnis über Migration, Gewalt, queere Liebe und die heilende Kraft der Sprache.
1. Ein Leben zwischen zwei Welten
Little Dog wächst als Kind vietnamesischer Einwanderer in einem Haushalt geprägt von den Traumata des Vietnamkriegs auf. Seine Mutter Rose, Tochter eines amerikanischen Soldaten und einer vietnamesischen Frau, arbeitet in einem Nagelstudio und kämpft mit den Geistern ihrer Vergangenheit. Die Grossmutter Lan, einst in Saigon als Prostituierte tätig, leidet unter Schizophrenie. Inmitten dieser zerrissenen Familie sucht Little Dog nach seiner Identität und seinem Platz in der Welt.
2. Liebe inmitten von Schmerz
In der Beziehung zu Trevor, einem weissen Farmersjungen, erlebt Little Dog seine erste Liebe. Zärtlich, intensiv und tragisch. Diese queere Liebesgeschichte ist eingebettet in eine Umgebung voller Rassismus, Drogenmissbrauch und sozialer Ausgrenzung. Vuong schildert diese Beziehung mit einer poetischen Sensibilität, die unter die Haut geht.
3. Die Sprache als Rettung
Ocean Vuong, selbst preisgekrönter Lyriker, nutzt in seinem Debütroman eine Sprache, die zwischen Prosa, Poesie und Essay oszilliert. Die fragmentarische Erzählweise spiegelt die Zerrissenheit des Protagonisten wider und verleiht dem Text eine eindringliche Intensität. Vuong zeigt, wie Sprache nicht nur Ausdruck, sondern auch Rettung sein kann. Ein Mittel, um Schmerz zu verarbeiten und Identität zu formen.
4. Ein literarisches Meisterwerk
„Auf Erden sind wir kurz grandios“ ist mehr als ein Coming-of-Age-Roman. Es ist ein tiefgründiges Porträt einer zerrissenen Familie, ein Zeugnis queerer Liebe und ein poetischer Aufschrei gegen die Unsichtbarkeit von Migranten in der amerikanischen Gesellschaft. Vuongs Debüt ist ein sprachliches Kunstwerk, das lange nachhallt.
5. Männlichkeit neu denken
Ein zentrales, oft übersehenes Thema in diesem Buch ist die Auseinandersetzung mit Männlichkeit. Little Dog wächst in einer Umgebung auf, in der klassische Männlichkeitsbilder mit Härte, Schweigen und Dominanz verbunden sind. Sei es in der Arbeiterklasse, der amerikanischen Gesellschaft oder in vietnamesisch geprägten Rollenbildern. Doch Little Dog, feinfühlig, verletzlich und suchend, durchbricht dieses Bild. In der Beziehung zu Trevor, aber auch in der Art, wie er schreibt und denkt, entsteht eine neue Definition von Männlichkeit: weich, fragil, poetisch und zutiefst menschlich.